In aller Munde - Wo die DDR ihren Senf dazu gab
Thüringer Rostbratwurst geht nicht ohne Senf. Das ist klar. Nicht nur deshalb haben die Ostdeutschen bis heute ein besonderes Verhältnis zu dem scharfen Gewürz. Das war auch zu Zeiten der DDR nicht anders. Vielleicht auch deshalb, weil Ketchup eher Mangelware war. In 17 Orten wurde damals der Senf für die Versorgung der ostdeutschen Bevölkerung produziert - und zwar so erfolgreich, dass einige bis heute auf den unverwechselbaren Geschmack „ihrer“ ostdeutschen Senfsorten schwören. Denn es gibt Unterschiede zu den westdeutschen.
Vorwärts immer, rückwärts nimmer: Bautz'ner Senf
Wie kein zweiter ist wohl der Name „Bautz‘ner“ mit der Senfherstellung in Ostdeutschland verbunden und mittlerweile auch im Westen der Bundesrepublik ein Begriff. Denn Bautz‘ner Senf ist gesamtdeutscher Marktführer. Kein Senf wird häufiger in Deutschland gekauft. Die Ostdeutschen sind ihrem Senf mit einem Marktanteil von ca. 70 Prozent, nach kurzen Experimenten nach der Wende, bis heute treu geblieben. Dabei ist auch der Bautz‘ner Senf keine DDR-Erfindung.
Bereits 1866 beginnt die Tradition der Senfproduktion im sächsischen Bautzen. In der DDR firmierte man zuletzt als VEB Lebensmittelbetriebe Bautzen und ist seit den 1970er Jahren im heutigen Ortsteil Kleinwelka ansässig. Wichtigstes Produkt ist der „Bautz‘ner mittelscharf*“ mit einem leichten Meerrettichgeschmack. Jährlich verlassen Millionen von blauen Kultbechern mit dieser Sorte das Werk in Sachsen. Kamen die Senfsaaten noch vor einigen Jahren vorwiegend aus dem Ausland, wird heute bei Bauern in der Oberlausitz und in Mecklenburg-Vorpommern bestellt. In einem 2008 eingerichteten Senfmuseum am Fleischmarkt in Bautzen kann man heute Exponate, wie historische Senfdosen, alte Menagen und seltene Kochbücher zum Thema Senf bestaunen und an einer Senftheke außergewöhnliche Senfsorten probieren. Die Bautzener kennen immerhin 39 verschiedene Rezepturen.
Große Auswahl bis heute
Neben dem Bautz‘ner (anfangs noch mit „e“ geschrieben) der heute bayerischen Develey Senf und Feinkost GmbH schafften es aber auch andere Senfsorten auf die Teller der DDR-Bürger. Im brandenburgischen Jüterbog produziert die Jütro Konservenfabrik GmbH & Co. KG traditionsgemäß bis heute, neben Obst- und Gemüsekonserven, Mayonnaise und Letscho, auch Senf. Auf drei von vier verkauften Senfbechern in Thüringen steht der Name „Born Senf*“, der sich als Marke der Born Feinkost GmbH aus Erfurt am Markt behauptet. Auch der Altenburger Senf* ist in einer Neuauflage seit 1992 wieder in Thüringen heimisch und hat mittlerweile viele ausgewählte und einmalige Senfsorten, wie den „Köstritzer Schwarzbiersenf*“ im Sortiment. In Mecklenburg-Vorpommern war bei vielen der „Tutower Senf“ erste Wahl.
Blass, weniger salzig und nicht so sauer
Im Gegensatz zum westdeutschen Produkt kommt der ostdeutsche Senf eher blass daher, was der natürlichen Farbe der, oft fein gemahlenen, Senfsaaten entspricht. Beim westdeutschen Pendant hingegen wird aus optischen Gründen häufig Kurkuma hinzufügt. Dadurch strahlt der Senf gelb. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Senf lag zu DDR-Zeiten bei ca. 1,4 Kilogramm im Jahr, Analysen von 2006 zufolge heute immerhin noch bei 1,29 Kilogramm in ostdeutschen Haushalten. In den alten Bundesländern sind es dagegen nur 940 Gramm. Das liegt auch daran, dass man im Osten viel häufiger beim Kochen zum Senf greift. Viele alte Rezepte aus DDR-Kochbüchern fordern Senf als unersetzliche Würze zu beispielsweise Wurst- und Fleischgerichten. Manche essen ihn gar als Brotaufstrich. Senf galt in der DDR als Grundnahrungsmittel und wurde deshalb auch preislich gestützt.
„Zwischen 50 und 55 Pfennige hätte der Becher kosten müssen. Für 37 Pfennige wurde er verkauft.“
Jörg Dietlein, ehemaliger Leiter des Bautzener Werkes
1981 wurde der geliebte Senf allerdings kurzzeitig sogar zur Mangelware, weil es Probleme mit den Gläsern gab, in die man den Senf damals füllte. Diese wurden nicht selten nach Gebrauch einfach ausgewaschen und als gewöhnliche Trinkgläser weiter verwendet.
Ein regionaler Klassiker verschwindet
Als Hotel mit Café und Kino geplant, wurde 1946 eine Konservenfabrik in einem nicht vollendeten Mehrzweckgebäude direkt an der Bundesstraße 110 in Tutow eingerichtet, die ab 1974 den Namen „VEB Nordfrucht“ trug. Neben Obst- und Gemüsekonserven wie Kirschen, Sauerkraut, Gewürzgurken, Apfelmus oder Rotkohl wurde in der sogenannten „Kohlfabrik“ auch nach der Wende unter der Marke „Peeneland Konserven“ weiterhin der Tutower Senf produziert, der schon in der DDR überregional Bekanntheit erlangte und vor der Verstaatlichung aus dem vorpommerschen Loitz kam.
Für viele Fans überraschend, stellte die Tutower Senf & Feinkost GmbH & Co. Verkaufs. KG im Frühjahr 2020 jedoch die Produktion des Kultsenfs im gelb leuchtenden Plastikbecher ein. Pläne, die Marke bundesweit zu platzieren, scheiterten offensichtlich. Übrige Restbestände wurden von Liebhabern nach Bekanntwerden des Produktionsstopps sofort aus den Regalen der Supermärkte geräumt.
2002 musste das Unternehmen schon einmal Insolvenz anmelden. Nach mehrfachem Wechsel der Besitzer verlagerte man die Produktion schließlich 2008 nach Stavenhagen bei Neubrandenburg. Fraglich ist allerdings auch, ob der Senf zuletzt überhaupt noch dort produziert wurde. Die bekanntesten Sorten waren der mittelscharfe Senf und der scharfe Senf mit Meerrettichgeschmack. Teilweise gab es auch Sonderabfüllungen in Gläsern wie in alten Zeiten. In der alten Konservenfabrik in Tutow fand 2010 das örtliche DDR-Museum ein neues Zuhause. Die historische Produktionsstätte des beliebten DDR-Senfs existiert nach wie vor in einem Seitentrakt des Gebäudekomplexes.
Nachtrag: Seit 2021 produziert die Firma „Inselmühle Usedom“ Senf unter dem Namen „Pommern Senf“, angeblich nach original Tutower Rezept. Dieser kann sogar online bestellt werden.